Der Hauptort des Unterengadins bildet den Ausgangspunkt mehreren interessanten PostAuto-Linien. Die erste führt in rund 45 Minuten durch das raue Val S-Charl. Vorbei an einer riesigen Steinwüste schlängelt sich die Naturstrasse bis zum abgeschiedenen Bergdorf S-Charl. Zurück in Scuol geht es mit der zweiten Linie hinauf nach Sent und von dort weiter ins naturbelassene Val Sinestra. Schliesslich endet die Reise vor dem ehemaligen Kurhotel Val Sinestra.
90.913, Scuol - S-charl
Der Bahnhof Scuol-Tarasp bildet den Endpunkt der 1913 eröffneten Engadinlinie der Rhätischen Bahn. Stündlich treffen heute die aus dem Oberengadin oder Prättigau herkommenden roten Zugskompositionen im Kopfbahnhof ein. Wer weiter reisen will, muss gezwungenermassen auf das PostAuto umsteigen. Dementsprechend gross ist der Bussbahnhof. Der Bahnhofsplatz bildet den Ausgangspunkt von total 6 Buslinien. Eine davon ist die äusserst sehenswerte und spektakuläre Berglinie ins Val S-charl.
In der Sommersaison, also von ende Mai bis mitte Oktober, nehmen bis zu neun Kurse täglich die 13 Kilometer lange Strecke nach S-Charl in Angriff. Doch bevor die Reise ins naturbelassene Seitental hineinführt, kämpft sich das PostAuto durch den vielbefahrenen Dorfkern vom Kur- und Ferienort Scuol. Vorbei an typischen Engadiner Häusern, dem prunkvollen Hotel Belvédère sowie dem Bong Engiadina tuckert der Linienbus zum Ortsteil Serras. Nachdem der Inn überquert wurde, lässt das PostAuto die Zivilisation definitiv hinter sich und die eindrückliche Bergfahrt
ins unberührte Val S-Charl kann beginnen. Die schmale Bergpoststrasse windet sich nun mit mehreren Kehren hinauf zum Reitstall San Jon. Bis hier hin ist die Strasse auch im Winter befahrbar, ein Weiterkommen nach S-Charl ist dann jedoch nur mit Schneeschuhen oder Pferdeschlitten möglich. Im Sommer ist die Reise deutlich einfacher, denn die Linie 913 verkehrt fast stündlich. Die Szenerie am Strassenrand ist zu Beginn noch sehr weitläufig, grün und von vielen Nadelbäumen dominiert. Doch nach der Haltestelle Plan da Funtanas ändert sich dies. Das Tal verengt sich auf einmal und
weit unten im Talboden fliesst der unscheinbare Clemgia Fluss. Die bis anhin asphaltierte Strasse verwandelt sich nun in eine Schotterpiste. Dies ist ein erstes Anzeichen, dass die Gegend nun deutlich rauer wird. Kurze Zeit später befindet man sich inmitten einer gigantischen Kies- und Steinlandschaft und mittendurch führt die einzige Zufahrtsstrasse nach S-Charl. So verwundert es kaum, dass bei extremen Regenfällen die Strasse immer wieder von Rüfen verschüttet wird. Zuletzt war das Tal 2018 nach intensivem Dauerregen für mehrere Tage von der Aussenwelt abgeschnitten.
Mithilfe von Baggern wird der Schutt der Geröllschluchten immer wieder zur Seite geschoben und die Fahrstrasse anschliessend neu angelegt. Insgesamt zieht sich die Fahrt durch die beeindruckende Steinwüste mehrere Kilometer weit. Begleitet wird man die ganze Zeit vom beschaulichen Clemgia Fluss, welcher in der Regel nur wenig Wasser führt. Etwas später wird die Landschaft dann wieder grüner und zahlreiche Arven dominieren das Bild. Die stets ansteigende Strasse schlängelt sich nun weiter ins Tal hinein zur Haltestelle Val Mingèr.
Das wunderschöne angrenzende Seitental ist Teil des Schweizerischen Nationalparks und dementsprechend bei Wanderern sehr beliebt. So kann man von hier aus in einer Tagesetappe hinüber zum Ofenpass wandern und dabei in die herrliche Flora und Fauna der streng geschützten Landschaft eintauchen. Doch dies war nicht immer so, denn von 1317 bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in S-Charl und dem Val Mingèr Silber- und Bleierz abgebaut. Die gewonnenen Stoffe wurden anschliessend mit Säumern über den Pass de Costains bis nach Meran im Südtirol transportiert.
Die Reise mit dem PostAuto führt nun auch weiter Richtung Süden. Vorbei an der Schmelzra, dem heutigen Bergbau und Bärenmuseum, trifft der Linienbus kurze Zeit später in S-Charl, dem Endpunkt der Reise ein. Mitten auf dem Dorfplatz wendet der Bus und wartet die 30 minütige Pause bis zur Rückfahrt ab. Einst zählte das abgeschiedene Bergdorf rund 70 Häuser und besass um 1825 sogar eine eigene Schule. Heute sind die 13 verbleibenden Gebäude nicht einmal mehr das ganze Jahr bewohnt. Dennoch lädt der schmucke Dorfkern mit den zwei liebevollen Restaurants zum Verweilen ein, bevor es wieder zurück nach Scuol geht.
90.925, Scuol – Sent – Val Sinestra
Am Bahnhof von Scuol startet im Sommer eine weitere interessante Berglinie, jene ins verträumte Val Sinestra. Im Gegensatz zur S-Charl Linie sieht hier der Fahrplan lediglich vier tägliche Verbindungen vor - eine Früh morgens und die restlichen drei durch den Nachmittag verteilt. Bevor der Bergbus die steile Strasse nach Sent in Angriff nimmt, führt die Reise wiederum durch das Dorfzentrum von Scuol. Am Ortsausgang zweigt der Linienbus nun auf die Bergpoststrasse ab, welche sich am linken Berghang
hoch auf die Sonnenterrasse windet. Am Eingang des Bergdorfs steht die Ruine der alten Katholischen Kirche Baselgia San Peder aus dem Jahre 1200. Nach der Reformation verfiel das Gotteshaus langsam und diente schliesslich noch als Munitions- und Pulvermagazin bevor es ganz zerfiel. Das PostAuto kämpft sich derweil durch den engen, aber wunderschönen Dorfkern nach Sent plaz. Trotz der beträchtlichen Grösse der Ortschaft ist es kaum zu glauben, dass Sent im Jahre 1860 mit 1149 Einwohnern das grösste Dorf im Engadin war.
Heute leben hier noch gut 800 Einwohner. Dank der sonnenverwöhnten Lage und der Nähe zu Scuol ist und bleibt Sent aber eine beliebte Wohn- und Feriendestination. So wird die Ortschaft ganzjährig mindestens stündlich, in den Hauptverkehrszeiten sogar im 30 Minutentakt durch die Linie 923 (Tarasp-Scuol-Sent-Sur En) erschlossen. Nach einer kurzen Verschnaufpause auf dem Hauptplatz nimmt das PostAuto die zweite Etappe ins Val Sinestra in Angriff. Doch zuerst muss sich der gelbe Linienbus weiter durch die engen Gassen zum Ortsausgang zwängen.
Kaum liegen die Häuserreihen hinter einem, verwandelt sich die Strasse in eine schmale Schotterpiste. Dementsprechend in gemächlichem Tempo führt die Reise nun hinein in das wunderschöne Val Sinestra. Das Seitental wurde 2011 vom Landschaftsschutz Schweiz als Landschaft des Jahres ausgezeichnet. Vorbei an dichten Wäldern schlängelt sich die Strasse am steilabfallenden Berghang immer weiter ins Tal hinein. Immer wieder müssen tiefe Einschnitte mit waghalsigen Brücken und Übergängen überwunden werden, bis der Linienbus nach rund sechs Kilometern das 1904 erbaute Berghaus erreicht.
Das Val Sinestra war früher für seine Mineralquelle bekannt. Nach dem Bau des ersten Gasthauses und der Realisierung einer Fahrstrasse folgte 1912 ein grosses Hotel. Im Kurhaus wurden während vielen Jahren Patienten mit Heilbädern und Trinkkuren behandelt. Das imposante Hotel hat im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Krisen erlebt und konnte den Kurbetrieb bis 1972 aufrechterhalten. Nach einer mehrjährigen Schliessung wird der Hotelkomplex mit dem Bergrestaurant seit 1977 von holländischen Familien geführt. Direkt vor dem alt ehrwürdigen Grand-Hotel nimmt diese Reise schliesslich ihr Ende.
Last Update: 19.11.2024
Zuletzt gereist: 18.08.2023